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Nov 10 2010

Medienkonzerne und das Ende der „Gratiskultur“?

Kategorie Internet-Zeugs



Na hui – was muss ich heute in meinem RSS-Reader lesen? Das Handelsblatt schreibt einen Artikel mit dem Titel „Das Ende der Gratiskultur im Internet ist gekommen„. Ein Thema, welches mir besonders am Herzen liegt und wo ich der Meinung bin, durch mein fundiertes Fachwissen auch mal mitreden zu können. Zu einer Zeit, als sich unter den sogenannten „Medienkonzernen“ eine interessante Mischung aus Gefühlen wie Resignation und Aufbruchstimmung breit machte, verfasste ich eine Diplomarbeit, welche „Bezahlinhalte im Internet“ zum Thema hatte. Damals war mein Urteil trotz vieler positiver Aspekte eher vernichtend. Zu halbherzig die Herangehensweise, zu wenig Raum für wirklich innovative Ideen. Oft lag es auch nur daran, dass die Konzerne einfach keine Inhalte anzubieten hatten, für deren Mehrwert im Vergleich zu den zahlreichen Kostenlosangeboten der Nutzer bereit gewesen wäre, zu zahlen.

Dies sollte sich nun geändert haben? Was hatte sich in den vergangenen Jahren getan? Warum sollten Bezahlangebote plötzlich funkionieren? Ich war neugierig auf den Artikel…

Gleich der einleitende Absatz sollte mich stutzig machen:

Zwanzig Jahre nach der Erfindung des Internets bricht eine neue Epoche an. Inhalte gibt es künftig nicht mehr umsonst. Medienunternehmen führen weltweit immer mehr Bezahlangebote im Web und in der Mobiltelefonie ein und haben damit großen Erfolg.

Tatsächlich? Habe ich irgendetwas verpasst? Entspricht der Artikel der Realität, oder wird hier wiedermal unter dem Deckmantel des investigativen Journalismus ein Artikel unter das Volk gebracht, welcher (vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen) einen angeblichen Erfolg suggerieren soll, wo keiner ist? Letzteres ist der Fall!

Hauptsächlich stützen sich die Argumente des Autors auf den aktuellen Erfolg von mobilen Anwendungen (Apps). Steve Jobs wäre es wohl gewesen, der im App-Store ein „weltweit einheitliches Bezahlsystem“ hervorgebracht hätte. Gleichzeitig wird behauptet, dass auch Google in seinem Android Market bald mit der Integration von PayPal ein Bezahlsystem anbieten würde. Dies ist schlicht falsch, da man seit zwei Jahren (in Deutschland seit April 2009) auch über den Android Market kostenpflichtige Apps beziehen kann. Zudem wird vergessen zu erwähnen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Einnahmen aus dem Verkauf der Anwendungen über diese Plattformen nicht den Medienkonzernen zu Gute kommt, sondern in die Taschen von Apple bzw. Google fließt. Zudem hat selbst der Herausgeber der FAZ vor kurzem erkannt, dass Apples Geschäftspolitik unter Umständen nicht unbedingt mit den Bedürfnissen von freien Medien in Einklang zu bringen ist.

Wo wir schonmal bei der FAZ sind. Trotz der Angst vor der Einflussnahme Apples auf Inhalte,hat die FAZ vor kurzem selbst eine App an den Start gebracht. Momentan ist die App noch – wer hätte das gedacht – kostenlos zu haben. Später soll man dann monatlich 2,99 Euro berappen. Was man dafür bekommt? Eine für das mobile Gerät optimierte Version der Webseite. Ich bezweifle, dass der Nutzer bereit ist, für ein zusätzliches Programm zu bezahlen, wo er die gleichen Inhalte doch in seinem bereits vorinstallierten Browser kostenlos bekommen kann. Als i-Tüpfelchen muss sich der Nutzer (selbst bei der kostenlosen Testversion) extra registrieren…großes Kino

Wo wir schonmal bei Kino sind. Auch RTL hat seit diesem Jahr eine App am Start. Der Mehrwert ist hier schon eher erkennbar. Neben Live-TV werden auch ein persönlicher Programmplaner mit Erinnerungsfunktion, eine Videosuche und individuell abonnierbare Benachrichtungsdienste zu verschiedenen Themen angeboten. Besonders das Live-TV klingt erstmal interessant – rein technisch. Praktisch wird man dafür jedoch keine 1,59 Euro monatlich berappen, sind doch Smartphones momentan (noch) nicht mit Displays ausgestattet, die den regelmäßigen TV-Betrieb rechtfertigen würden – von der Akkuleistung mal ganz zu schweigen. Selbst der Programmplaner ist nicht praktikabel denn – auch wenn sich das die Macher von RTL gerne wünschen – nicht wenige Smartphone-Besitzer schauen auch mal Programme, die nicht zu RTL gehören…und dass man für jeden TV-Sender gewillt ist, eine extra-App zu bezahlen…da fehlt mir einfach der Glaube…

Wo wir schonmal bei „Glaube“ sind. Mir fehlt einfach der Glaube daran, dass die vollmundig angekündigte BILD-App ein so durchschlagender Erfolg ist. Wenn vom Erfolg der BILD-App die Rede ist, werden oft die 100.000 Downloads innerhalb des ersten Monats genannt. 100.000!!! – soso. Dass der Download im „Einführungsmonat“ kostenlos war, muss man in diesem Zusammenhang in einem gut recherchierten Artikel natürlich nicht unbedingt mitteilen. Und dass selbst Monate nach der Einführung (vielleicht auch heute noch?) in den Bewertungen auf iTunes zu lesen war, dass nie ein Nutzer nach den 30 Tagen irgendetwas bezahlt hat, hat sicherlich auch nichts zu bedeuten. Wirtschaftlicher Erfolg sieht in meinen Augen anders aus.

Wo wir schonmal bei „wirtschaftlichem Erfolg“ sind. In dem Artikel wird außerdem angemerkt, dass vor allem Suchmaschinen mit den Inhalten von Medienkonzernen über Werbung Geld verdienen würden. Ein Argument, bei der sich der Hund in den sprichwörtlichen Schwanz beißt. Wer bitteschön zwingt denn die Medienkonzerne, ihre Inhalte an die Suchmaschinen zu verfüttern. Schonmal was von robots.txt gehört? Noch schneller könnte man sich mit einer gut platzierten .htaccess behelfen! 😉 Fakt ist, dass ein Großteil der Besucher von derartigen Internetseiten gerade über die Suchmaschinen kommt. Und wird diese sicherlich nicht gerade geringe Masse nicht als Argument dafür verwendet, möglichst hohe Preise für Werbeplätze zu setzen?

Wer sich nun gar nicht mehr die Arbeit machen möchte, den gleich zu Beginn von mir verlinkten Artikel auf handelsblatt.com zu lesen – der sollte sich zumindest den letzten Absatz antun:

…Berlin unterstützt indirekt das Vorgehen. Im Koalitionsvertrag wurde die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Verlage vereinbart. Eine entsprechende Gesetzesvorlage wird derzeit vom Justizministerium bearbeitet. Demnach soll eine Verwertungsgesellschaft, so der Plan, Lizenzverträge mit Unternehmen abschließen, die Online-Inhalte von Zeitungen oder Zeitschriften gewerblich nutzen wollen. Der politische Rückwind für das Leistungsschutzrecht ist groß. Erst vor kurzem hatte der bayerische Landeschef Horst Seehofer (CSU) die Kommunikationsbranche zu einem gemeinsamen Kampf „gegen die Gratismentalität im Netz“ aufgefordert. Hinter den Plänen stehen auch Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger – und Kanzlerin Angela Merkel.

…herrlich!

PS: Warum ich heute mal ausnahmsweise so früh und so umfangreich blogge? Meine Frau muss diese Woche jeden Tag früh in den Zirkus, und da stehe ich einfach mit auf und nutze den Morgen – kein Scheiß! 😉

2 Kommentare

2 Kommentare zu “Medienkonzerne und das Ende der „Gratiskultur“?”

  1. Muyserinam 10. Nov 2010 um 11:04 Uhr

    Genau der selben Thematik widmete sich gestern dieser Artikel: http://www.indiskretionehrensache.de/2010/11/handelsblatt-paid-content/

  2. Martinam 10. Nov 2010 um 11:04 Uhr

    Eigentlich besteht der ganze Artikel im Handelsblatt doch nur aus heißer Luft, die dem verblödeten Leser suggerieren soll, dass es ganz natürlich ist, wenn man es im Hause Holtzbrinck mal wieder mit dem direkten Geldeintreiben vom Leser versuchen will – machen ja jetzt alle so.
    Immer wenn ein Verlagshaus mal wieder von seiner Unternehmensberatung gesagt gekriegt hat, dass es doch dämlich ist, seine Inhalte zu verschenken, lancieren sie solche Artikel, versuchen irgendein bescheuertes Bezahlmodell zu etablieren und rudern irgendwann wieder zurück, wenn sie mitkriegen, dass ihnen die Leser abspringen. Einfach ignorieren sowas, auch wenns schwer fällt.

    PS: Früh aufstehen ist toll – halt durch! 🙂

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