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Feb 15 2009

Geh Denken!

Kategorie Dresden


Gestern bin ich wiedermal denken gegangen. Für all diejenigen, denen sich der Anlaß zu diesem Beitrag an dieser Stelle noch nicht erschlossen hat, hier eine kurze historische Einleitung:

Obwohl allerspätestens 1945 klar war, dass der von Nazi-Deutschland angezettelte zweite Weltkrieg in einer militärischen Niederlage enden würde, weigerte man sich beharrlich bedingungslos zu kapitulieren. Zu diesem Zeitpunkt lag halb Europa in Schutt und Asche – Millionen Menschen hatten bereits ihr Leben gelassen. Nach und nach gingen die Alliierten dazu über, deutsche Städte zu bombardieren, um einerseits militärische Ziele und Infrastruktur zu zerstören und andererseits die Zustimmung zum Krieg in der Bevölkerung zu schwächen. Von dieser Strategie blieb auch Dresden nicht verschont. In der Nacht vom 13. zum 14. Februar gab es mehrere groß angelegte Luftangriffe, bei denen weite Teile der Stadt zerstört wurden und viele Menschen ums Leben kamen. Gerade bei der tatsächlichen Anzahl der Opfer war man sich bis vor kurzem noch uneins. Eine im letzten Jahr von der Stadt eingesetzte Historikerkommission kam nach ihren Untersuchungen auf mindestens 18.000  – höchstens 25.000 Opfer. Bis zu diesem Zeitpunkt schwankten die Zahlen noch zwischen 60.000 und 300.000 Toten. Die Meinungen darüber, wie man diesem Tag gedenken sollte, gehen je nach politischer Ausrichtung weit auseinander. Mir persönlich sind die einzelnen Gruppierungen und Meinungen relativ wurscht – so lange eines klar ist: Nazis raus! Seit einigen Jahren versuchen diese Hohlköpfe diesen Tag für ihre Propaganda zu mißbrauchen. In diesem Jahr sah es danach aus, dass in Dresden der größte Neonazi-Aufmarsch Europas stattfinden sollte.

Seit enigen Jahren schließen sich jedes Jahr unter dem Motto “Geh denken!” viele Organisationen zusammen, um gegen den von den Neonazis initiierten sogenannten “Trauermarsch” zu protestieren. Leider schafften es nicht alle, sich dieser Initiative anzuschließen. Unsere Oberbürgermeisterin Helma Orosz plante ihre eigene Initiative – nunja.

Ich stieß gegen 13:30 zur Kundgebung auf dem Schlesischen Platz (Neustädter Bahnhof) hinzu. Die dort zusammengekommene Menge sah weitaus weniger umfangreich aus, als ich mir das gewünscht hätte. Zeigen die Dresdner doch kein Interesse an diesem Tag? Ich denke, dass man weitaus mehr Menschen mobilisieren könnte, wenn man die Demonstrationen in den Medien anders kommunizieren würde. Selbige interessieren sich nämlich oft nicht in erster Linie für die Inhalte und die Beweggründe dieser Veranstaltung, sondern suchen gezielt nach Randale und Gewalt. Im lokalen Radio war bereits am Vormittag zu vernehmen, dass man doch der Innenstadt besser fern bleiben sollte. Hallo? Gehts noch? Kein Wunder, dass viele Dresdner an einem solchen Tag in erster Linie Angst verspüren und sich dann doch für das zu Hause bleiben entscheiden – wenns schon im Radio kommt! Der zweite Grund ist das in meinen Augen an vielen Stellen unverhältnismäßige Polizeiaufgebot. Als der Demonstrationszug dann endlich in Richtung Yenidze startete, wurde nahezu jeder Meter von finster dreinblickenden zum Teil komplett ausgestatteten Polizisten flankiert. Hielt man sich nicht exakt auf der rechten Straßenseite wurde man hektisch darauf verwiesen, dass man doch im Demonstrationszug bleiben solle. Erstaunlich viele Polizisten waren mit modernster Überwachungstechnik (Videokameras – selbst Spiegelreflexkameras habe ich gesichtet) ausgestattet und machten davon auch regen Gebrauch. Man demonstrierte gegen das Böse und kam sich selbst wie ein Schwerverbecher vor. Und das in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit im Grundgesetz steht – Pfui! Sicherheit schön und gut – aber lernt man bei der polizeilichen Ausbildung, dass man Sicherheit nur mit dem Zeigen von Stärke und durch Einschüchterung erreichen kann?

Glücklicherweise ließen sich die Demonstranten vom Auftreten unser aller Sicherheitsbeamten nicht einschüchtern. Die Stimmung war gut – auf einem LKW spielte eine Meißner Band mit dem Namen “Umbrellla set on Fire” knackige Musik, so dass einem trotz des frostigen Wetters warm wurde. Schön war auch die Szene, als ein vollbesetzter Reisebus entgegenkam und die darin sitzenden Omis und Opis vor Begeisterung winkten – spätestens da merkte man, dass man auf dem richtigen Weg war. Leider waren zu dieser Zeit meine Griffel schon dermaßen gefroren, so dass ich nicht schnell geung den Auslöser drücken konnte, um das Ganze fotografisch festzuhalten. Nach einem kurzen Zwischenstopp auf der Könneritzstraße ging es dann weiter über den Sächsischen Landtag zum Theaterplatz. Dieser füllte sich dann mit weiteren Demonstrationszügen und war dann letztendllich doch gut gefüllt. Laut Veranstalter kamen wohl 12.500 Demonstranten (die Polizei zählte gar nur 6.000!) – “subjektiv gefühlt” waren es meiner Meinung nach deutlich mehr. Da ich aber ein schlechter Schätzer bin, möchte ich mich an den Spekulationen über die genaue Anzahl an dieser Stelle nicht beteiligen.

Auf dem angrenzenden Schloßplatz gab es dann nochmals eine Szene die zeigte, dass die Polizei doch alles andere als deeskalierend auftrat. Plötzlich fuhren zwei Wasserwerfer über die Augustusstraße ein.

Es ertönten mehrere Lautsprecheransagen, die alle auf dem Schloßplatz befindlichen Menschen dazu aufforderte, selbigen über die Augustusbrücke zu verlassen. Angesichts der Massen, die sich zu diesem Zeitpunkt auf diesem Areal befanden brach unter den Umstehenden Gelächter aus. Niemand kam auch nur ansatzweise dieser Aufforderung nach. Warum auch? Die meisten waren ganz normale Demonstrationsteilnehmer, die auf dem Weg zum Theaterplatz waren und ihr höchstbehördlich angemeldetes Demonstrationsrecht wahrnehmen wollten. Einige umherspringende lustig verkleideten Gestalten lockerten die Stimmung ein wenig auf, so dass auch die Polizisten etwas entspannter zu werden schienen.

Zur gleichen Zeit begann auf dem Theaterplatz die Hauptveranstaltung. Es sprachen SPD-Chef Franz Müntefering, DGB-Chef Michael Sommer, die Bundesvorsitzende der Grünen Claudia Roth, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag Gregor Gysi, Wolfgang Stumph und viele andere. Ein Highlight war sicherlich der Auftritt von Banda Comunale aus der Dresdner Neustadt.

Selten habe ich so viele Menschen unterschiedlicher Generationen vor einer so großen Bühne so hemmungslos tanzen sehen. Hier ein Video vom vorletzten Lied – die Qualität ist alles andere als gut sondern eher nur berauschend (Brüller!) – dennoch gibt es recht gut die Stimmung wieder.

Irgendwann (nach fast 5 Stunden Kälte) wollte ich mich dann doch auf den Heimweg machen. Kurz zuvor sprach der Organisator über das Mikrofon nochmals zu den Polizisten und bat diese, die noch zu der Veranstaltung kommenden Menschen durchzulassen. Was er genau meinte, sah ich dann als ich die Augustusbrücke passieren wollte:

Da stand doch tatsächlich ein Wasserwerfer umringt von einigen Polizisten mitten auf der Brücke und ließ nur noch Leute durch, die von der Alt- auf die Neustädter-Seite wollten. Wenn man genauer hinsah, wurde das Ganze noch etwas grotesker, da die Leute die abgewiesen wurden – zumindest optisch – “ganz normale” Bürger zu sein schienen.

Einige weitere Fotos gibt es in meiner Galerie.

5 Kommentare

5 Kommentare zu “Geh Denken!”

  1. Uweam 15. Feb 2009 um 15:49 Uhr

    Klarer konnte sich die Polizei dann ja wohl (politisch) nicht positionieren?! Hört sich außerdem etwas nach den guten alten (DDR-)Zeiten an. Ein ähnliches Demonstrationsrecht gab es damals auch schon – auf dem Papier stand es zwar, nur weh wenn Du es dann ‘benutzen’ wolltest ..
    Wurde den der braune Haufen genauso behandelt?
    Ich hoffe es gibt auch ein paar Konsequenzen für die entsprechenden Verantwortlichen.
    Halte uns auf dem Laufenden.
    Gruß Uwe.

  2. reaperam 15. Feb 2009 um 21:39 Uhr

    Nach ausgelassenem tanzen war mir ehrlich gesagt nicht mehr auf dem Theaterplatz. Ich war ursprünglich vom Wettiner Platz mit der Geh Denken unterwegs, brauchte dann aber Bewegung nach dem die Demozüge sich getroffen hatten und auf dem Publikumsleeren Platz standen und erlebte dafür hautnah wie sich die Innenstadt anfühlte. Die Polizei kesselte die Antifa gezielt am Kulturpalast ein und ließ auch normale Bürger nicht mehr Richtung Theaterplatz durch. Einzige Rettung waren da hohes Alter, Kleinkinder oder sichtbare umfangreiche Einkäufe aus der Altmarktgalerie.

    Für mich hat die Geh Denken Partie einen faden Beigeschmack gehabt, Vor allem die Worte von Claudia Roth dürften für Applaus bei den Nazis sorgen: “Wir geben die Straßen und Plätze in Dresden nicht frei für Rechtsextremisten”

  3. Andreasam 16. Feb 2009 um 09:49 Uhr

    Das die Dresdnerinnen und Dresdner leider nur wenig lust haben, Geh-denken zu unterstützen ist ja leider schon einige Jahre so. Es ist schon traurig, dass durch die bundesweite Mobilisierung zwar sehr viele zum Theaterplatz kamen, aber ich hate manchmal das Gefühl, das wir Dresdner hier in der Unterzahl waren. Die Beobachtung, dass die Medienberichterstattung (haben die im Radio tatsächlich empfohlen, die Innenstadt zu meiden???) nicht gerade Hilfreich ist, ist vollkommen richtig. Genauso wie das Auftreten der Polizei. Interessanterweise war die Polizei bei den Nazis (deren Zug ich eine ganze Weile begleitet habe) sehr kooperativ und die Stimmung war entsprechend entspannt. Verweise, weil jemand eine Straßenlinie überschritten hatte gab es hier nicht.

    weitere Bilder findet gibt es hier: http://grooovema.bplaced.net/filemanager/

  4. Gehdacht | Ruhestoerung.netam 16. Feb 2009 um 21:29 Uhr

    [...] interessanten Bericht aus erster Hand von der Demo gibt es übrigens im Blechblog. Lokales Abonniere den RSS [...]

  5. Billigflugam 19. Feb 2009 um 17:38 Uhr

    Ich finde es toll, wie sich immer mehr Organisationen zusammen schließen, um gemeinsam gegen die Neonazis zu protestieren. Die Aktion ist echt super.
    Jedes Jahr wächst die Zahl derer, die sich dagegen ´wehren´.
    Wenn bei uns in der Nähe auch Prostet statt finden, sind wir auch immer mit dabei.

    Wie sich jedoch die Polizei positioniert hat, ist ja wirklich unglaublich.

    Gab es denn mittlerweile schon Konsequenzen für die Verantwortlichen?

    Macht weiter so!

    Gruß Kathrin

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