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Jan 30 2012

Der Bürgerentscheid: Ja, ich habe nicht abgestimmt!

Kategorie Dresden


Ich habe nicht abgestimmt. Ein Kollege bedachte mich für diese frevelhafte und offen zur Schau gestellte Tat heute mit einem besonders vorwurfsvollen Blick. Ich versprach meine Verweigerung am Bürgerentscheid heute mit einem allumfassenden Blogbeitrag näher zu erläutern…auf gehts:

Nein – ich habe mich nicht aus der Verantwortung gestohlen. Vielmehr war die Verweigerung der Abstimmung berechnendes Kalkül meinerseits. Mein Ziel war es, mit meiner nicht abgegebenen Stimme das Quorum (eines meiner Lieblingswörter seit S21) von 25% nicht zu erreichen. Klingt blöd – ist aber mein Ernst. Wie schon am gestrigen Abend zu erfahren war, wurde mit einer erstaunlich hohen Wahlbeteiligung das erforderliche Quorum locker erreicht – mein persönliches Ziel wurde dafür ganz klar verfehlt.

Bei allen positiven Argumenten, die man bei dem demoktratischen Mittel des Bürgerentscheids anbringen kann, besteht doch die Gefahr, dass man der Politik eine feine Möglichkeit bietet, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Von Seiten der Befürworter einer Zusammenlegung der Krankenhäuser (also den „Verlierern“!) werden schon Stimmen laut, dass man in den nächsten Jahren mit einem Stillstand der Reformen hinsichtlich der sicherlich unbestreitbaren Defizite, wie sie aktuell offensichtlich herrschen, rechnen muss. Da dies zufälligerweise auch genau diejenigen Politiker sind, die in unserer Stadt aktuell das Sagen haben, könnte man vermuten, dass sie sich tatsächlich nicht sonderlich anstrengen werden. Mehr noch: Eine Verschlechterung der Lage ließe sich immer mit einem schulterzuckenden Fingerzeig in Richtung des Bürgerentscheids entschuldigen. Ich höre die Entscheider schon die Messer wetzen und ihre „IHR HABT ES DOCH SO GEWOLLT“-Reden schreiben. Kindergarten? Ja – aber genau so funktioniert „Politik“ heute leider viel zu oft!

Nicht falsch verstehen – ich bin derartigen Bürgerbeteiligungen an politischen Entscheidungen durchaus nicht kategorisch negativ gesonnen. Ganz im Gegenteil. Es ist eine sehr gute Möglichkeit, die Politik dazu zu zwingen, dem Bürger Argumente für oder gegen bestimmte Entscheidungen zu vermitteln und nicht einfach so gegen offensichtliche Mehrheiten zu entscheiden. Dass es genau dabei noch deutliche Defizite gibt, zeigt jedoch der aktuelle Bürgerentscheid in Dresden. Wer sich allein mittels der offiziellen Infoblätter informieren wollte, der fühlte sich eher alleingelassen. Obwohl die halbe Stadt mit Plakaten zuplakatiert wurde, war deren Informationsgehalt (selbstverständlich) eher plakativer Natur. Vermutlich – nein…ganz sicher sogar – ist es jedoch auch naiv, von den Politikern objektive Informationen zu erwarten. Sie wollen lediglich ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen und schrecken dabei auch nicht davor zurück, unliebsame Argumente etwas zurechtzubiegen oder ganz zu verschweigen. An dieser Stelle ist der Bürger ganz klar in der Verantwortung, sich die nötigen Informationen selbst zusammenzusuchen und entsprechend zu werten. Ob das tatsächlich der Großteil der Wähler getan hat, wage ich zu bezweifeln. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass bei so einem Bürgerentscheid derjenige gewinnt, der die Massen mobilisieren kann – und da gilt seit jeher: Je populistischer die Argumente, desto besser. So funktioniert Demokratie – da beißt die Maus keinen Faden ab. Ob das dann „der Sache“ dient steht leider auf einem ganz anderen Blatt.

Lobend erwähnen muss man an dieser Stelle einige Dresdner Blogs. Wo Politiker und Interessenverbände bei der Verbreitung brauchbarer Informationen zum Thema versagt haben, sprangen Blogs in die Bresche und lieferten Argumente mit deren Hilfe einem bei der Entscheidungsfindung unter die Arme gegriffen wurde. Hier einige Beispiele:

Artikel zum Thema bei stefanolix:

Artikel zum Thema bei frankinformiert:

Artikel zum Thema beim Dresdner|Rand

Sehr passend formuliert ist meiner Meinung nach ein Kommentar von Denni Klein in der Sächsischen Zeitung, auf den ich via journal.translarte.de aufmerksam wurde:

Den Bürgerentscheid hätte es nicht gebraucht. […] Es ist ein Armutszeugnis, die Frage von den Dresdnern beantworten lassen zu müssen. Die Krankenhäuser hätten längst besser laufen können. Die Stadträte müssen dringend ihre Verantwortung für Dresden wieder in den Mittelpunkt ihres Handelns rücken. Ein Bürgerentscheid ist ein wertvolles demokratisches Instrument, das nicht inflationär zum Einsatz kommen darf, nur weil Politiker im Streit ihre Aufgabe aus dem Blick verlieren.

Perfekt – besser hätte ich es nicht zum Ausdruck bringen können.

2 Kommentare

2 Kommentare zu “Der Bürgerentscheid: Ja, ich habe nicht abgestimmt!”

  1. Sebastianam 01. Feb 2012 um 22:12 Uhr

    Ich war auch nicht und ich bin sogar fest davon ausgegangen, dass die nötige Teilnahme nicht erreicht wird. 1. war das thema wirklich so komplex, dass selbst hochintelligente Menschen sich überfordert fühlten und 2. war die Propaganda aller Parteien wirklich unter aller Sau. Wer auch immer der FDP das Plakat konzipiert hat, versteht von politischer Werbung wesentlich weniger als mein versoffener Nachbar von Gesundheitspolitik!

    Es gab sehr gute Argumente für die Zusammelegung, zumal man in der Satzung der gGmbH einen verkauf an private Eigner kategorisch ausschließen hätte können! Das Kernelement dann wäre gewesen: Wer sollte über Investitionen im Krankenhaus entscheiden: Ärzte oder der Stadtrat? Aber damit hätten sich die Damen und Herren ja selber diffamiert, was nun wirklich gar nicht geht.

    Warum eigentlich nicht?

  2. randOMam 02. Feb 2012 um 09:16 Uhr

    Ein wahres Wort, Herr Kollege!

    Demokratie ist schon ganz schön schwierig, das ist richtig. Aber es ist die beste aller schlechten Regierungsformen, oder? Mit einem König / Führer whatever kann man Glück haben, muss man aber nicht. In der Demokratie können wir die größten Flaschen zumindest noch abwählen und, wenn es sein muss auch mal einbuchten, wenn sie’s gar zu schlimm getrieben haben. Das ist doch schon mal ein Fortschritt. 🙂

    Mal noch eine andere Bemerkung: Wenn wir alle es als selbstverständlich hinnehmen, dass Politiker in erster Linie dazu da sind, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen, dann ist es ehrlich gesagt mit der Demokratie nicht weit her. An dieser weit verbreiteten Geisteshaltung sollte sich, meiner Ansicht nach, etwas ändern, denn sonst sehe ich schwarz für die Zukunft…

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